Tuesday, May 16, 2006

Body does not mean homeland

Von einem Bekannten angesprochen, ob ich nicht mit eigenen Texten an Lesungen zu bestimmten Themen teilnehmen möchte, konnte ich ganz klar verneinen. Auch ihm antwortete ich auf diese Frage, wie ich es schon manch anderem in Zusammenhängen meiner Person und Öffentlichkeit erklärt hatte, das ich schon in der Schule lieber eine Sechs in Kauf genommen hätte als mich für ein Referat vor die Klasse zu stellen.
Doch bei der Nennung der Themen fiel mir eines besonders auf, das mich seit ein paar Jahren auf einer unterbewussten Ebene beschäftigte – das Thema Heimat.
Ich beschloss, trotzdem ich von einem Auftritt nach wie vor absehe, meinen Gedanken endlich eine Struktur zu geben. Leichter gesagt als getan, denn so umfassend das Thema ist, so wirr waren und sind meine bisherigen Ansätze. Ich scheine meinen eigenen Gedanken nicht den nötigen Raum verschaffen zu können, um ihnen zu folgen, doch etwas kristallisierte sich heraus – mein Körper war mir bisher nie eine Heimat.

Mein Körper war tatsächlich noch nie mein Zuhause. Noch nie hat er mir, meinem Geist und meiner Seele ein adäquates Heim geboten. Stattdessen war er oft der Verursacher von seelischem und leiblichem Schmerz, ein Quell der Qual, eine Last und dies nicht nur im Sinne einer Waage.
Schon im Mutterleib weigerte ich mich, meine eigene Dinglichkeit anzuerkennen und zögerte den Moment so lang hinaus bis rohe Kräfte auf Geheiß meiner Erzeugerin verhinderten, das ich auf eine Ebene mit Gottes Sohn gestellt werden würde und sei es nur durch den gemeinsamen Geburtstag.
Auch wenn im allgemeinen der Witz kursiert, ich könne mich noch an meine Geburt erinnern, kann ich nicht sagen, in welchem Verhältnis mein Körper und ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr standen. Ich denke er nutzte mir, diente mir im besten Sinne, um durch die Felder zu streichen, Staudämme an kleinen Flussläufen zu bauen und auf dem Klettergerüst des Kindergartens meinen Spaß zu haben. Ich lernte Fahrradfahren, doch, daran erinnere ich mich noch genau und auch an die Stürze, die dem Können vorausgingen. Ich denke, das Leib und Seele sich noch einigermaßen im Einklang befanden auch wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt schon merkwürdig fand und mir selbst genug war.
Spätestens mit der Schulzeit endete dieses funktionierende Verhältnis. Schulsport und bestimmte Unfähigkeiten, wie zum Beispiel mir die Schuhe zuzubinden, trafen nun auf die Projektionsfläche einer ganzen Gruppe, welche in aller Unbarmherzigkeit in mir eines ihrer schwächsten Glieder ausmachte und entsprechend versuchte, dieses auszusondern. Es gelang, doch fairer weise muss ich sagen, das ich mich durch Allüren lieber gleich selbst ins Abseits stellte. Die Antwort auf diese Art von Frustration war Essen. Ich kam lieber zu spät zur Schule und deckte mich mit Süßigkeiten im schulnahen Tante-Emma-Laden ein, als das ich verzichtete und so weniger auffiel. Als meine Eltern spitz bekamen, das ich unverhältnismäßig viel Ungesundes konsumierte, begannen sie, die Süßigkeiten zu verstecken. Es nützte nichts, denn ich legte eine Verbissenheit bei der Suche nach Verstecken und Schlüsseln an den Tag, die man sich beim Schuhe binden gewünscht hätte.
Aus all dem folgerte ich schon früh, das ich körperlich nicht in diese Welt passte, zu dick sei für sie und so meinen Platz nicht mehr in ihr finden würde.
Auch der Umzug nach Hamburg änderte nichts daran. Im Gegenteil, denn die Beschimpfungen der Hamburger Grundschüler standen denen der Achtklässler der angeschlossenen Realschule in der Kleinstadt, in nichts nach.
Schon immer tendenziell überfordert mit der Ansammlung mehrerer Menschen, fiel es mir entsprechend schwer, in einem solch rauen Umfeld, Fuß zu fassen. Meine Schwester, selbstbewusst, unkompliziert und anpassungsfähig, lernte am ersten Tag alle nötigen Schimpfwörter und das damit verbundene Sesam-Öffne-Dich, während ich noch überrollt von allem Neuen das Gefühl hatte, das ich, fett wie ich war, eh nicht be(ge-)liebt werden könnte.
Vor einigen Jahren entdeckte ich die, zum Zeitpunkt der Entdeckung ca. 20 Jahre alten Klassenfotos und Einzelportraits aus der vierten Klasse und war ehrlich erstaunt, das ich weder fett noch hässlich war. Im Gegenteil, ich wirkte wie ein nettes, freundliches Mädchen, mit dem man Spaß haben konnte.

Im Gymnasium sollte die Selbsteinschätzung durch entsprechende Hänseleien noch weiter verinnerlicht werden, denn Konfektionsgröße 36 hatte ich tatsächlich nie und eine satte, schlecht zu versteckende Oberweite sorgte für den Rest. Im Schulsport kam ich mir entsprechend wie ein Elefant vor, mochte mich ob der Peinlichkeit nicht engagieren und wurde, der Klassiker, natürlich immer als eine der letzten in eine Mannschaft gewählt. Die Pubertät machte mir meinen Körper nicht fremder, denn noch fremder konnte er mir schon nicht mehr sein. Für zwei Wochen, nachdem ich mir bei einer selbsterwählten Kur gerade mal sieben Kilo heruntergehungert hatte, bekam ich die Anerkennung, nach der ich mich sehnte. Ich wog auf die Größe von 1.60m statt 65 Kilo nur noch 58 Kilo. Unglaublich, wie sieben Kilo alles verändern konnten. Das Vergnügen war nach zwei Wochen vorbei. Jeder weiß wie einfach rauf und wie schwer runter in diesem Fall ist. Nach zwei Wochen war ich zurück in meinem Selbstentfremdungsnirvana, doch statt mich wieder um die sieben Kilo zu bemühen, interpretierte ich die Erfahrung als das was sie war – Schein ist Sein. Doch ich wollte einfach nur Sein.
Meine zwei Jahre jüngere Schwester hatte sich inzwischen zu einer blonden, langbeinigen Gazelle entwickelt und die Jungs, mit mir gut befreundet, verknallten sich reihenweise in sie. Auch nicht die Botschaft, die es mir ermöglichte, mit meinem Körper Frieden zu schließen.
Meine erste Liebe schaffte es zumindest für einen Moment, das ich mich wohl fühlte in meiner Haut. Für ihn war ich schön und niemals hat er es an Äußerlichkeiten fest gemacht. Er sah mich, wie ich mich sehen konnte – wollte. Er gab mir die Erkenntnis mit auf den Weg, das ich um meiner Selbst willen geliebt werden konnte. Ich fühlte mich dadurch nicht schlanker und mein Körper wurde mir deswegen auch nicht mehr zu einem Zuhause, aber er verlor vorläufig die Wichtigkeit, die ich ihm bis dahin eingeräumt hatte.
Zwei Jahre später hatte ich noch einmal das Glück, einem solchen Menschen zu begegnen und ich tat alles dafür, das er nicht wieder gehen wollte. Bisher ist mir das gelungen, auch wenn ich es in meinen frühen Zwanzigern schaffte in einer Art Selffullfilling-Prophecy meinen Stoffwechsel soweit zu ruinieren, das der Körper endlich zur Selbsteinschätzung passte. Ich wurde so fett, wie ich mich bis dahin immer gefühlt hatte – und mir selbst noch fremder.
Nein, eine Heimat war mir dieser Körper nie – eher ein immerwährend zu bekämpfender Feind - als ob der Kopf und die Seele je ohne den Muskel Herz funktionieren könnten.

Wednesday, May 03, 2006

Darf ich mal bitte?

Es ist ja immer so eine Sache mit dem Aufstehen während der Vorstellung in Kino, Oper, Theater, Konzert oder der Sportveranstaltung. Auch im Flugzeug oder im Reisebus scheut man sich, dem Sitznachbarn sein Hinterteil oder seine vordere, untere Gürtellinie ins Gesicht zu strecken, sofern dies nicht absolut notwendig ist.
Wird es doch notwendig, wird der Vorgang für die meisten zu einer Odyssee von ungewollten Berührungen und Einblicken, deren Peinlichkeit man mit „Darf ich mal bitte?“ oder „Entschuldigung, könnte ich mal...“ versucht zu überspielen.
Schon für normal gebaute Menschen mit einem gesunden Sinn für die Ein-Meter-Regel ist diese Art des Aufeinanderhockens nicht immer gut zu ertragen. Ausdünstungen, Geräusche, Geschwätzigkeit, ungefragte Kommentare, der Kampf um die Armlehne oder einfach eine schlechte zwischenmenschliche Chemie lassen manchen Sitznachbarn wenig sympathisch erscheinen.
Je nach Verweildauer von zweistündiger Kinovorstellung bis zum Langstreckenflug ist man trotzdem immer wieder gezwungen, Kontakt aufzunehmen, um seinen Bedürfnissen über das Sitzen hinaus Raum zu geben.
Für nicht normal gebaute Menschen, man könnte sie auch je nach Grad des Übergewichts als dick oder fett bezeichnen, ist dieser Moment besonders heikel. Hat man nicht gerade den Prominentenbonus eines Ottfried Fischer, wird meist mit hochgezogener Augenbraue oder anderen Ausdruckmitteln des Entnervtseins reagiert. Auch ist der häufig nicht zu vermeidende Tritt auf den Fuß des anderen im wahrsten Sinne des Wortes schwerwiegender als bei einem Normalgewichtigen. Oft reicht es nicht, einfach die Knie ein wenig zur Seite zu schieben, um den nötigen Durchgangsplatz zu schaffen. Steht man jedoch auf, kommt aus den hinteren Reihen augenblicklich meuterndes Geraune bis hin zu patzigem „Hinsetzen!“. Die daraufhin Angeraunten, drehen sich zu den hinteren Reihen um, zucken die Achseln und weisen mehr oder weniger verstohlen auf den wahren Verursacher.

In vollem Bewusstsein all dessen fällt es mir manchmal schwer, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Zum Beispiel liegen mir ausverkaufte Veranstaltungen nicht sehr, da ich das Gefühl habe, das eh schon volle Schiff zum kentern zu bringen. Dicht an dicht mit Menschen und in meinem Fall dichter an noch dichter, da ich in meinem Sitz keine Rückzugsreserven mehr habe, trägt zum allgemeinen Unwohlsein in meiner Gegenwart bei. Ich spüre, wie das nicht nur mir sondern auch meinem Nachbarn so geht. In solchen Momenten fühle ich mich so präsent als hätte man einen Scheinwerfer auf mich gerichtet und so raumfüllend wie der Korken in der Flasche. Daher sehe ich die guten Filme meist in der kaum besuchten Nachmittagsvorstellung oder erst auf DVD.
Auch zähle ich die Mitfahrenden in einem Fahrstuhl, achte auf das Schild, auf welchem die zugelassene Nutzlast und die entsprechenden Personenanzahl vermerkt ist, kalkuliere mich mal zwei und steige im Zweifelsfall wieder aus, um entweder zu Fuß zu gehen (welches der gesunde Weg ist) oder auf den nächsten Lift zu warten.
Fliegen ist zur Zeit überhaupt kein Thema, da ich von der Fluggesellschaft verpflichtet werden würde, zwei Sitze zu buchen, was gerade in diesem Jahr dazu geführt hat, das zwei liebe Menschen ohne mich nach London fliegen werden. (Na gut, meine ausgeprägte Beziehung zu festem Boden unter meinen Füssen spielt auch eine gewisse Rolle.)
Auf den Toiletten einiger Gaststätten und Veranstaltungsorte dürften schon normalgewichtige an ihre räumlichen Grenzen stoßen, doch ich kann mich noch freuen, wenn ich die Tür schließen kann ohne schon auf dem Klobecken stehen zu müssen.
Hotelbadezimmer, von der Kunst auf kleinstem Raum möglichst viel Komfort zu erzielen, geprägt, lösen in mir klaustrophobische Zustände im Duschbereich aus, da der Architekt in diesem weder den langen noch den breiten Menschen einkalkuliert hat. Und zu welcher Kategorie ich gehöre, denke ich, ist klar.
Stühle mit Armlehnen, von mir früher sehr geschätzt, lassen mich heute zurückschrecken. Werde ich hineinpassen? Bänke relativieren diese Problematik einigermaßen, aber nun sitze ich wieder Po an Po mit dem Banknachbarn, fühle mich wie ein Berg neben ihm und beanspruche mehr Raum als mir und ihm lieb ist.
Stühle ohne Armlehne sind komfortabel und meist ausreichend für mich, jedoch, sofern sie nicht über eine entsprechende Rückenlehnenhöhe verfügen, begrabe ich sie regelrecht unter mir und von ihrer Optik bleibt nicht viel, sofern man nicht gerade hinter mir steht. Ebenso ist im Kino der Platz am Gang die Lösung und die Treppe statt des Fahrstuhls, sofern ich nicht gerade in das fünfte oder ein noch höheres Stockwerk muss.
Fliegen bleibt fürs erste gestrichen und Zugfahren kann eine, wenn auch inzwischen teurere Lösung sein, so denn es nicht nach Übersee geht. Aber wann geht es das schon?

Es scheint, das ich viel Platz in dieser Welt beanspruche.